Kommentar zu:
FGSV: Hinweise zum induzierten Verkehr, 2005.
Gert Marte
Bekassinenstr. 94
28357 Bremen
gert.marte@gmx.de
10.4.2006
Zusammenfassung
Bei den Hinweisen zum induzierten Verkehr verweist die FGSV auf den Bundesverkehrswegeplan 2003 (BVWP’03), bei dem erstmals ein kleiner Teil des induzierten Verkehrs (ungefähr 7,7 %) berücksichtigt wird. Beim BVWP’03 wird der induzierte Verkehr berücksichtigt, indem die Fahrtenhäufigkeiten durch Zuschlagfaktoren verändert werden. Dabei wird eine Zeitelastizität zu Grunde gelegt, die dem Betrag nach rund um den Faktor 7 zu klein ist.
Zur Bewertung des internen Nutzens wird bei dem BVWP’03 ein unnötig kompliziertes zweistufiges Verfahren eingesetzt. Im ersten Schritt wird der induzierte Verkehr nicht berücksichtigt und es werden wie in der Vergangenheit die Zeit- und Betriebskostenersparnisse zur Bewertung des internen Nutzens herangezogen. In einem zweiten Schritt wird der induzierte Verkehr mit Hilfe der auf die Verkehrsleistung bezogenen Konsumentenrente bewertet, was zu unsinnigen Ergebnissen führen kann.
Realitätsnah wäre es, beim Verkehrsmodell die Reisezeitbudgets konstant zu halten, was einer Zeitelastizität von –1,0 entspricht. Zur Bewertung des internen Nutzens sollten die Zeit- und Betriebskostenersparnisse des verbleibenden Verkehrs herangezogen werden, was bei der Standardisierten Bewertung von ÖV-Investitionen („Standi“) seit vielen Jahren gemacht wird.
Die FGSV sagt nichts darüber aus, welche Zeitelastizität im Verkehrsmodell benutzt werden sollte. Außerdem wird die Bewertungsfrage völlig ausgeklammert. Es gibt keinen Hinweis darauf, ob das komplizierte und unsinnige Bewertungsverfahren des BVWP’03 für sinnvoll gehalten wird oder nicht.
1. Einleitung
Hier wird nur auf die Verkehrsmodelle und die Bewertungsfrage eingegangen, da wir uns am Institut für Informatik und Verkehr der Universität Bremen mit diesen Themen beschäftigt haben.
Thust hat Verkehrsmodelle entwickelt, bei denen der primär induzierte Verkehr durch eine Änderung der Fahrtenlängen berücksichtigt wird (Thust 1999). Da die Zahl der Wege und das Reisezeitbudget zu den stabilsten Kenngrößen des Verkehrs zählen, werden für die Quellverkehre und die Zielverkehre der Verkehrszellen die Fahrtenzahlen und die Reisezeitbudgets konstant gehalten.
Thust vermeidet die Verlängerung der Q-V-Diagramme (siehe z.B. EWS’97, Tabelle 11, letzte und vorletzte Spalte) in den nicht messbaren (nicht existierenden) Staubereich, indem er die Staus explizit nachbildet, die dafür sorgen, dass die Verkehrsstärken die Durchlassfähigkeiten nicht überschreiten.
Helms und Marte schlagen zur Bewertung des internen Nutzens die auf Fahrten bezogene Konsumentenrente vor, die bei praktischen Beispielen mit den Zeit- und Betriebskostenersparnissen des verbleibenden Verkehrs übereinstimmt (Helms 2001, Marte 2005).
2. Modelle für den induzierten Verkehr
Es gibt zwei verschiedene Klassen von Verkehrsmodellen, die den induzierten Verkehr nachbilden. Man kann die Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer detailliert nachbilden und erhält dann den induzierten Verkehr als Resultat des Modells. Man kann auch konstante Reisezeitbudgets annehmen und die Parameter der Modelle so ändern, dass die Reisezeitbudgets konstant bleiben.
Bei der „Standi“ werden z.B. die Reisezeitbudgets von außen vorgegeben. Auch Thust stellt Modelle vor, bei denen die Parameter der Verkehrsverteilung so eingestellt werden können, dass die Reisezeitbudgets konstant gehalten werden (Thust 1999).
Welche Modelle die Realität genauer nachbilden, können nur Messungen entscheiden. Da bisher keine Verkehrsmodelle mit festen Modellparametern vorliegen, die genauere Resultate liefern als die Modelle mit von außen eingestellten Reisezeitbudgets, gehe ich davon aus, dass man zur Zeit nur die Modelle mit eingestellten Reisezeitbudgets in der Praxis einsetzen kann.
In den Hinweisen zum induzierten Verkehr wird die Position vertreten, dass Reisezeitbudgets nicht von außen vorgegeben werden sollten (FGSV, 2000, S. 25-26). Dass die Modellparameter der Verkehrsmodelle stärker schwanken als die Reisezeitbudgets wird dabei nicht erwähnt.
3. Bundesverkehrswegeplan 2003
Beim Bundesverkehrswegeplan 2003 wird der induzierte Verkehr durch eine Änderung der Fahrtenhäufigkeiten berücksichtigt. Für jede Relation werden Zuschlagfaktoren berechnet.
In den Hinweisen zum induzierten Verkehr wird eine Berechnungsformel für die Zuschlagfaktoren angegeben (FGSV, 2005, S 16)
(1) ΔDTV / DTV = BDTV * (t0 – t’)/DTV
mit
ΔDTV = primär induzierter Verkehr (Pkw/d)
DTV = Durchschnittlicher täglicher Verkehr (Pkw/d)
t0 – t’ = Reisezeiteinsparung (Pkw h/d)
BDTV = Zuschlagfaktor (ohne Differenzierung BDTV = 0,335)
Gl. (1) wird verständlicher, wenn man berücksichtigt, dass die Reisezeiteinsparung Δt pro Fahrt
(2) Δt / h = (t0 – t’)/DTV
ist. Setzt man Gl.(2) in Gl.(1) ein , dann ergibt sich
(3) ΔDTV / DTV = BDTV * Δt /h
Da man in der Regel die relative Änderung der Fahrtenhäufigkeit mit der relativen Änderung der Reisezeiten vergleicht, wird Gl.(3) mit der mittleren Reisezeit tm erweitert. Wenn man für die mittlere Reisezeit 25 Minuten annimmt, ergibt sich
(4) ΔDTV / DTV = 0,14 * Δt / tm
Der Faktor 0,14 in Gl.(4) entspricht dem Betrag der Zeitelastizität. Da der Betrag der Zeitelastizität bei 1 liegt, wird bei der Berechnung der Zuschlagfaktoren eine dem Betrag nach rund um den Faktor 7 zu kleine Zeitelastizität angenommen.
Da hier auf Messungen des induzierten Verkehrs nicht eingegangen wird, muss der Hinweis genügen, dass die bei Messungen auftretenden Schwankungen der Zeitelastizität die Überlegungen nicht wesentlich berühren.
Um die Belastungsabhängigkeit zu berücksichtigen, wird eine einfache Fixpunktiteration benutzt (FGSV ,2005 S. 16), die bei realistischen Zeitelastizitäten und realistischen Q-V-Diagrammen nicht sicher konvergiert. Die Anwendung des von Thust eingesetzten Multiplier-Penalty-Verfahrens wäre deshalb sinnvoller (Thust, 1999).
Für den Staubereich wird angenommen, dass die Verkehrsstärken die Durchlassfähigkeiten überschreiten können und dabei eine Minimalgeschwindigkeit erreicht wird. Diese Minimalgeschwindigkeit führt für bestimmte Strecken zu konstanten Stauzeiten. Diese Annahmen lassen keinen Bezug zur Wirklichkeit erkennen, sodass das Verkehrsmodell zur Bewertung von Straßenbaumaßnahmen nicht geeignet ist, wenn im Ohnefall oder im Mitfall Staus auftreten.
In Bild 1 wird das Verkehrsmodell und das Bewertungsverfahren des BVWP’03 im Überblick dargestellt.
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Bild 1: Verkehrsmodell und Bewertungsverfahren des BVWP’03
Bei den Hinweisen zum induzierten Verkehr fehlt die Angabe, dass bei dem BVWP’03 eine dem Betrage nach rund um den Faktor 7 zu geringe Zeitelastizität angenommen wird. Es fehlt auch eine Kritik des Bewertungsverfahrens, das unnötig kompliziert ist und zu unsinnigen Ergebnissen führen kann (Marte, 2005).
4. Standardisierte Bewertung von ÖV-Investitionen
Da der induzierte Verkehr bei der „Standi“ seit Jahren voll berücksichtigt wird, ist es naheliegend, das Verkehrsmodell und das Bewertungsverfahren der „Standi“ zum Vergleich heranzuziehen (Bild 2).
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Bild 2: Verkehrsmodell und Bewertungsverfahren der „Standi“ (Intraplan, 2000)
5. Nutzen-Kosten-Verhältnisse
Die Bedeutung einer dem Betrage nach um den Faktor 7 zu geringen Zeitelastizität wird deutlich, wenn man abschätzt, wie sich dieser Fehler auf die Nutzen-Kosten-Verhältnisse auswirkt.
Vom BMVBW wird angegeben, dass der induzierte Verkehr die Nutzen-Kosten-Verhältnisse im Mittel um 15 % reduziert (BMVBW 2002 S. 63). Eine Hochrechnung auf eine dem Betrage nach um den Faktor 7 größere Zeitelastizität führt zu einer Verringerung der Nutzen-Kosten-Verhältnisse um rund 100 %.
Eine Hochrechnung von 15 % auf 100 % stellt natürlich eine Extrapolation dar, die zu großen Fehlern führen kann. Wenn aber eine solche Hochrechnung zu dem Ergebnis führt, dass bei den Verkehrsprojekten des BVWP’03 der Schaden im Mittel gleich groß wie der Nutzen ist, dann kann man daraus schließen, dass unbedingt realitätsnähere Verkehrsmodelle und sinnvolle Bewertungsverfahren benutzt werden sollten.
6. Fazit
Da nach meinem Kenntnisstand die Nutzen-Kosten-Verhältnisse nicht stark davon abhängen, ob man den induzierten Verkehr durch eine Änderung der Fahrtenlängen oder eine Änderung der Fahrtenhäufigkeiten berücksichtigt, schlage ich vor, den induzierten Verkehr zunächst durch eine Änderung der Fahrtenhäufigkeiten zu berücksichtigen (Bild 3).
Es sollten die variablen Staulängen explizit berechnet werden, die sicherstellen, dass die Verkehrsstärken die Durchlassfähigkeiten der Strecken nicht überschreiten. Nur unter dieser Vorraussetzung lassen sich Verkehrsmodelle für Netze mit Staus einsetzen.
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Bild 3. Vorschlag für die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs durch eine Änderung der Fahrtenhäufigkeiten
Langfristig schlage ich vor, den induzierten Verkehr durch eine Änderung der Fahrtenweiten zu berücksichtigen (Bild 4).
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Bild 4. Vorschlag für die Berücksichtigung des induzierten Verkehrs durch eine Änderung der Fahrtenweiten.
Das Modell mit einer Änderung der Fahrtenlängen ist realitätsnäher, was den Vergleich mit Messungen erleichtert. Das Modell mit variablen Fahrtenlängen erleichtert auch die Zusammenarbeit mit Stadtplanern, die Wegelängen durch Stadtstrukturänderungen beeinflussen wollen.
Literatur:
BMVBW: Bundesverkehrswegeplan 2003 – Grundzüge der gesamtwirtschaftlichen Bewertungsmethodik, 2002
FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen): Hinweise zum Induzierten Verkehr, 2005
M. Helms: Bewertungsverfahren für Verkehrsmodelle mit induziertem Verkehr, VWF-Verlag, Berlin, 2001
Intraplan Consult, G. Heimerl: Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des ÖPNV Version 2000, BMVBW, 2000
G. Marte: Bewertung des induzierten Verkehrs, Internationales Verkehrswesen, 11, S. 491-495, 2005
M. Thust: Simultane Verkehrsmittelwahl,-verteilung und-umlegung mittels hierarchischer Logitmodelle unter Einhaltung von Straßenkapazitäten, Verl. für Wiss. und Forschung, 1999